Letztes Jahr im Juli habe ich in der Maison Libellule eine Woche Roulotte-Ferien gemacht. Das hat mir sehr gut gefallen, und ich wusste, ich würde bestimmt eines Tages wieder ins Burgund reisen. Vielleicht hat mich nun die Midlife-Crisis erwischt, oder es sind die Wechseljahre. Jedenfalls machten mir eine Erschöpfungsdepression und ein Bandscheibenvorfall zu schaffen, was mich dazu brachte, über mein Leben nachzudenken. Arbeit und Leistung haben bei mir einen hohen Stellenwert, vielleicht einen zu hohen. Will ich wirklich so weitermachen? Gibt es da nicht auch noch etwas anderes,so etwas wie einen sinnvollen, erfüllenden Weg neben dem Berufsalltag? Nachdenken und sich einen Überblick verschaffen geht am besten aus der Distanz. Zu meinem fünfzigsten Geburtstag habe ich mir daher selbst ein Geschenk gemacht. Ich habe die Roulotte „Gipsy“ gemietet und war von Mitte Juni bis Anfang August als Helferin bei Silvana in der Maison Libellule. Das war etwas vom besten, was ich in meinem Leben gemacht habe.
Französischkurs
Um meine verrosteten Kenntnisse wieder etwas aufzufrischen, habe ich in den ersten drei Wochen jeweils halbtags einen Französischkurs besucht, bei Régine in Montpont. Der Kurs war schlichtweg genial. Ich hatte tolle Kurskolleginnen, und Régine versteht es mit viel Charme, Esprit und Leichtigkeit wunderbar, jeden Teilnehmer dort abzuholen, wo er sich auf seinem Niveau gerade befindet. Wir haben Grammatik und Vocabulaire gebüffelt, Rollenspiele gemacht, viel geredet und gelacht. Ich bin jetzt wieder richtig drin in der Sprache, und Régine mit ihrer motivierenden, positiven Art hat mir die Freude am Französisch zurückgegeben. Ich werde in der Schweiz über den Herbst und Winter weiterhin einen Kurs bei ihr besuchen - damit ich nicht vergesse, was ich gelernt habe, und weil es einfach Spass macht, die alternden Gehirnwindungen in Schuss zu halten.
Arbeit im Garten und in der Maison Libellule
Eine Abmachung meiner Auszeit war, dass ich Silvana ein paar Stunden täglich im Garten helfe, oder wo sonst gerade Not an der Frau ist in der Maison Libellule. Zusammen mit mir war auch Karla, eine junge Frau aus Deutschland, die ich vorher nicht kannte, als Helferin im Einsatz. In der Schweiz habe ich einen Bürojob, und so hat es mir richtig Spass gemacht, wieder mal zuzupacken und etwas mit den Händen zu machen. Der wunderschöne Garten will gepflegt sein, und so fiel der grosse Teil der Arbeiten dort an. Wie zum Beispiel das Rasenmähen mit dem anschliessenden Sprung in den Schwimmteich als Belohnung. Ich habe aber auch mal geputzt und beim Gästewechsel geholfen. Und meine Güte, was habe ich Kieswege gejätet - einmal um den Schwimmteich herum mindestens! Das tönt jetzt nicht gerade nach „Fun“, aber erstaunlicherweise hat mir das Jäten viel Freude gemacht. Man sieht das Resultat seiner Mühen, und die Tätigkeit hat einen meditativen und fast schon therapeutischen Effekt. Jäten hat auch mit Aufräumen zu tun, und während ich so vor mich hinjätete, habe ich auch innerlich viel „ausgemistet“. Noch mal hingeschaut, was in der Vergangenheit war, es versucht einzuordnen, um es dann so stehen zu lassen, als Teil meines Lebens. Pläne geschmiedet habe ich auch. Manchmal habe ich an gar nichts gedacht und einfach nur gejätet - sich selber vergessen, um sich dann wieder zu finden.
Yoga
Ich mache seit etwa sechs Jahren regelmässig Yoga, und ich habe mir jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen eine halbe Stunde Zeit für meine Übungen genommen. Eine halbe Stunde, um so richtig bei sich selbst anzukommen, das war sehr schön. Im Französischkurs habe ich als Übung mal eine Yogastunde auf Französisch gemacht. Daraus hat sich dann ergeben, dass ich mit den Kurskindern von Régine (sie gibt auch Ferienkurse für Kinder und Jugendliche) Yoga gemacht habe, auf Französisch natürlich! Es kam auch zu einigen Yogalektionen mit Feriengästen aus der Schweiz. Für mich hat sich da eine Tür geöffnet, eine Tür zum erfüllenden Nebenweg, den ich gesucht habe. Ich weiss jetzt, dass ich meine Yogalehrer-Ausbildung weitermachen und abschliessen werde. Und wer weiss, vielleicht wird das ja was mit Yoga unterrichten im Burgund?
Velofahren als Meditation
Etwas vom Grössten für mich ist das Velofahren im Burgund. Ich habe jede Gelegenheit dazu genutzt und bin einfach losgefahren. Unzählige Strässchen schlängeln sich durch die Bresse, es gibt kaum Verkehr, und man kann wunderbar alleine sein. Verschlafene Dörfer, Felder mit grasenden Kühen, Wälder, Hecken, Bäche und Flussläufe, Wiesen gesprenkelt mit den weissen Tupfen der Bressehühner, Weiher, alte, manchmal verfallene Bauernhäuser - all das strahlt so eine Schönheit, Harmonie, Stimmigkeit und Gelassenheit aus, dass ich selbst überhaupt nicht mehr wichtig bin. Und doch bin ich ein Teil dieser Landschaft, jetzt, in diesem Moment. So pedale ich also vor mich hin, denke an alles mögliche und immer öfter an gar nichts - und da ist sie doch, die Meditation, die einfach so passiert. Die besten Momente waren die, an denen ich nicht mehr wusste, wo ich war, und so wusste ich für einen Augenblick auch nicht mehr, wer ich war. Sicher selber verlieren, sich wieder finden, und sich danach etwas besser kennen. Den Heimweg von meinen Velotouren habe ich jedenfalls immer gefunden.
Dans mon hamac - in der Hängematte
Wo lässt es sich besser abhängen (im wahrsten Sinne des Wortes) und entspannen als in der Hängematte? Ich liebe den grossen, weiten Himmel und das goldene Licht im Burgund. So oft es ging, habe ich mir den Sonnenuntergang von Anfang bis Ende angesehen, die vorüberziehenden Wolken, den subtilen Wechsel des Lichts von hell zu dunkel. In der Hängematte, geborgen unter dem Kastanienbaum, ein Glas Rotwein neben mir, c’est le paradis, non?
Vegan kochen und essen
Silvana hatte mir gesagt, dass sie vegan lebt, und ich habe mich entschlossen, ganz unvoreingenommen mitzumachen, als Experiment sozusagen. Silvana, Karla und ich haben jeweils gemeinsam gekocht und gegessen. Ich selbst bin jetzt nicht gerade eine Meisterköchin und werde es wohl auch nie sein. Silvana und Karla haben viel Erfahrung mit dem veganen Kochen und Backen. Ich habe sehr viel gelernt und profitiert. Ich habe gestaunt, wie vielfältig und kreativ die vegane Küche ist, und was sich alles zaubern lässt. Da ist viel Freude am Essen dabei und Genuss – mir hat es an gar nichts gefehlt. Auch dieses vegane Experiment hat etwas ausgelöst bei mir. Ich habe über mein Verhältnis zum Essen nachgedacht, und wie wir Menschen mit der Umwelt und den Tieren umgehen. Bewusster Verzicht tut auch mal gut. Ich muss ja nicht leiden, wenn ich kein Fleisch mehr esse, aber ich kann dadurch einem Tier Leid ersparen. Es lohnt sich wirklich, mal in Ruhe über diese Zusammenhänge nachzudenken. Vieles am Vegan-sein hat mich überzeugt, und ich möchte auch in der Schweiz weitgehend vegan kochen – mit ab und zu einem kleinen Abstecher ins Vegetarische. Was ich auf jeden Fall mitnehme, ist ein achtsamerer Umgang mit dem, was ich esse – und damit auch ein achtsamerer Umgang mit mir selbst.
Gespräche und Begegnungen
Leben ist kommunizieren, das ist mir während dieser Auszeit wieder einmal klar geworden. Ich habe die Begegnungen mit den Gästen der Maison Libellule sehr geschätzt. Das war interessant und abwechslungsreich. Ich durfte auch einige von Silvanas Freundinnen, Freunden und Bekannten kennenlernen und habe einen kleinen Einblick in ihr Leben erhalten. Viele sind Schweizer, die im Burgund leben, und es hat mich beeindruckt, was für einen guten, unkomplizierten und unterstützenden Kontakt sie untereinander haben. Nicht zu vergessen die alltäglichen Kontakte zu den Einheimischen – ich musste doch französisch üben! Ich mag die Menschen im Burgund, sie sind eher ruhig und gelassen (so kommt es mir zumindest vor), freundlich und höflich, und sie anerkennen es, wenn man sie auf französisch anspricht. Eine Auszeit bietet Raum, die Vergangenheit nochmals anzuschauen, um so den Weg in die Zukunft besser erkennen zu können. Weit weg vom Alltag sind auch bei mir ein paar alte, belastende und prägende Geschichten aufgetaucht. Es war gut, dass ich mich nochmals mit ihnen beschäftigt habe. Und es war gut, dass ich Menschen um mich hatte, denen ich mich anvertrauen konnte. Wir hatten einige intensive, tiefe Gespräche, die mir sehr geholfen haben. Danke, Silvana, Karla und Régine, dass ihr mir zugehört und vieles mitgetragen habt. Es heisst ja, dass einem die anderen Menschen immer etwas von einem selbst widerspiegeln, und dass man in seinem Gegenüber sich selbst erkennen kann. So wie ihr das für mich wart, hoffe ich, dass auch ich euch etwas mitgeben konnte. Und nein, wir waren nicht immer nur ernst, natürlich nicht! Wir haben viel gelacht, und all die lustigen, leichten Momente behalte ich in bester Erinnerung.
Und noch eine wichtige Begegnung darf hier nicht fehlen: die mit Luke, Silvanas Hund. Luke hat mir ganz viel gezeigt: wie man im Moment lebt, wie man unvoreingenommen und freundlich auf die Menschen zugeht, wie man Gefühle zulässt. Seine Traurigkeit, wenn ihm liebe Gäste abreisten, hat mich manchmal fast selbst zum Weinen gebracht. Aber hey, wir leben ja im Moment, und das nächste feine Guetzli kann ja nicht mehr allzu weit weg sein! Luke hat ein unglaublich feines Gespür für Menschen, Emotionen und Stimmungen – und eine ganz grosse Seele. Danke für alles, Luke, und bis bald wieder!
Légèrté!
Wenn ich einem Wort zusammenfassen soll, was ich von meiner Auszeit mitnehme, so ist es „Légèrté!“ Ich wollte mehr Leichtigkeit in meinem Leben haben, und die spüre ich jetzt in mir. In diesem Sinne habe ich mich vielleicht wirklich loslassen können, um mich wieder zu finden. Denn loslassen hat ja auch mit leicht werden zu tun. Meinen weiteren Weg werde ich mit leichteren Füssen antreten. Dieser wird mich auch wieder ins Burgund führen, das weiss ich. Die Landschaft tut mir in der Seele gut, und ich habe dort neue Freunde gefunden – ein ganz grosses Geschenk. Das nehme ich mit Freude an und „avec légèrté“.